Als der Kaufbeurer Zefixsturm für Furore sorgte

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20.10.2015 11:2020.10.2015 11:20 | geschrieben von Manuel Ort

Als der Kaufbeurer Zefixsturm für Furore sorgte

Manfred Kraus traf das Kaufbeurer Eishockeyidol Fredl Hynek

„Des isch ja noh a Biable", gaben die Zweifler mahnend zu bedenken und tatsächlich wirkte der schmächtige Bursche schmal wie ein Hemd. Blutjung war er obendrein. Er hatte allerdings auch durch sieben Tore gegen Augsburg auf sich aufmerksam gemacht und allerlei Hoffnungen geweckt. Also schob man ihm kurzerhand einen zweiten Schulterschutz unter den Dress, um ihn dadurch wenigstens etwas breiter erscheinen zu lassen.

Man schrieb das Jahr 1950 und es mag um Fredi Hyneks siebzehnten Geburtstag herum gewesen sein. Natürlich ahnte damals noch niemand, dass aus dem jungen Hüpfer dereinst eines der ganz großen Kaufbeurer Eishockeyidole werden sollte. Die Zweifel des Augenblicks verflogen indessen in Windeseile, denn der pfeilschnelle Neugablonzer schlug auf Anhieb prächtig ein. Ein brandgefährlicher Vollblutstürmer, der seine körperliche Unterlegenheit durch läuferische Klasse vergessen machte und die Gegnerschaft trotz seiner Jugend mit seinen verblüffenden Tricks narrte.

Fünfundsechzig Jahre ist das her. Seine Leidenschaft für den ESVK aber hat er bewahrt und wenn man sich mit Fredl Hynek unterhält, spürt man sogleich, dass er Menschen mag. Von der ergrauten Eishockeylegende geht etwas Warmherziges aus. In seinem Beisein fühlt man sich aufgehoben. Gemeinsam blättern wir in seinen sorgfältig geführten Alben mit historischen Zeitungsberichten, die jeder offiziellen Vereinschronik hervorragend zu Gesicht stehen würden, und staunend lesen wir darin vom 24. November 1960, als die Leute scharenweise durch den Jordanbach wateten, über Zäune stiegen und auf Bäume kletterten, weil sie im mit über 6000 Besuchern aus allen Nähten platzenden Kaufbeurer Kunsteisstadion das mit dem Paarlauf von Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler garnierte 5:2 im Schlagerspiel gegen den kampfstarken SC Ziegelwies erleben wollten. „Kaufbeuren hatte unglaublich treue Zuschauer", entsinnt sich Fredl Hynek (82) lebhaft, ehe uns der 28. Februar 1959 ins Auge sticht, als der spielstarke Torjäger beim 16:3 gegen den EV Landshut zweimal selber traf, vor allem aber auch seine Vorbereiterqualitäten unter Beweis stellte, indem er den Großteil der vier Tore von Reinhold Rief und der sieben Treffer von Georg Scholz vortrefflich auflegte.

Reinhold Rief, Georg Scholz und Fredl Hynek, das war Kaufbeurens unwiderstehliche Paradereihe der fünfziger Jahre und das Herzstück der Mannschaft. Das kongeniale Trio harmonierte scheinbar blind und die Spielfreude der ehrgeizigen Himmelsstürmer war überbordend. Wenn dann doch einmal ein Angriff misslang, machten sie ihrer momentanen Enttäuschung nicht selten durch ein ungehaltenes „Zefix" Luft. Dieses wurde geradezu sprichwörtlich für ihre Reihe und schon bald waren die Eishockeydrillinge beim hingerissenen Kaufbeurer Publikum als der „Zefixsturm" in aller Munde.

Nur einmal legt Fredl Hynek seine Stirn in Falten. Im Januar 1960 hatte der Verband dem ESVK drei Spiele in fünf Tagen auferlegt. Dienstag Tölz. Mittwoch Riessersee. Samstag Nauheim. Ein Unding. Die Spieler mussten zur Arbeit. In Kaufbeuren herrschte Aufruhr. Auch Fredl Hynek empörten die rücksichtslosen Spielansetzungen. Nicht wenig widerstrebte ihm aber auch der Kaufbeurer Vorstandsbeschluss, aus Protest das Gastspiel in Tölz ohne Gegenwehr abzugeben. „Absichtlich kein Tor schießen, nein, das mache ich nicht!", erregte sich der Sportler schon damals. Nicht nur er blieb daheim, während die in den Isarwinkel gereiste Rumpfmannschaft mit Bedacht vorne vorbeischoss und hinten haufenweise Tore schluckte. Allein deren neunzehn im zweiten Drittel. Endstand 28:0. Eine Farce. Wie nackte Zahlen doch lügen können.

Längst war der listenreiche Torjäger zu einem der besten Bundesligastürmer gereift und sämtliche deutschen Spitzenvereine waren hinter ihm her. Füssen, Riessersee und Tölz wollten ihn unbedingt haben, Mannheim und Berlin auch. Am eindringlichsten buhlte jedoch der VfL Bad Nauheim um das begehrte Allgäuer Eishockeyjuwel. Die Wetterauer boten ihm ein Reihenhaus, ein festes Gehalt und eine Arbeitsstelle. „Vielleicht hätte ich das machen sollen", grübelt Fredl Hynek einen Atemzug lang, „aber ich hing sehr am ESVK und wollte ihm unbedingt treu bleiben. Ich war in Kaufbeuren zufrieden, obwohl es hier beim Eishockey nichts zu verdienen gab. Außerdem war ich damals frischgebackener Vater eines einjährigen Sohnes."

Der B-Nationalspieler schlug die verlockenden Angebote aus und dem ESVK standen glänzende Jahre bevor. Zwar verabschiedete sich Joe Scholz in Richtung Füssen, doch kam für ihn im Tausch Xaver Unsinn nach Kaufbeuren, sodass die Rotgelben weiterhin auf eine überragende Paradereihe bauen konnten. Der achtfache Meisterspieler, von dem man sagt, er habe seinen Vertrag mit dem ESVK auf einem Bierdeckel abgeschlossen, hatte sein Kommen allerdings unabdingbar von Hyneks Verbleib abhängig gemacht und damit seine Wertschätzung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: „Wenn der Fredl nicht bleibt, dann komme ich nicht."

Die sechs Jahre währende Ära Unsinn geriet zur Kaufbeurer Blütezeit. Erst als Spielertrainer und dann als Trainer formte der gebürtige Füssener aus dem ESVK eine deutsche Spitzenmannschaft und sein Spielführer Fredl Hynek zog seine Kameraden auf ungeahnte Höhen. Allmählich aber sah auch der Instinktspieler die Zeit für seinen Rückzug herannahen: „Mit dreißig wollte ich immer aufhören und damals war ich ja schon beinahe zweiunddreißig", sinniert Hynek über das Jahr 1965, „dann aber überredeten mich die Landsberger." Beim EVL brach er alle Torrekorde und schnell war er auch dort ein Eishockeyheld, den man auf Schultern vom Bahnhof zum Stadion trug. Um ein Haar wäre er mit Landsberg in die Bundesliga aufgestiegen.

Der zwischenzeitlich zum Trainer gewordene Fredl Hynek wurde am Lech mit Ehrungen überhäuft, doch sorgte Kaufbeurens Trainer Markus Egen 1969 dafür, dass der sympathische Sportler in seine Heimat zurückkehrte, um seinen ESVK noch einmal als Kapitän aufs Eis der nagelneuen Halle am Berliner Platz zu führen. Als der große Kaufbeurer Eishockeysohn an Weihnachten schließlich seine überragende Spielerlaufbahn endgültig beendete, schloss sich dort, wo 1950 alles seinen Anfang genommen hatte, ein Kreis.

„Ich hatte das Glück, von großen Verletzungen verschont zu bleiben. Nur einmal", merkt der heute 82-Jährige beiläufig an und er deutet vielsagend auf seinen Oberkiefer, „hat mir ein Kanadier den Puck aus fünf Metern stockvoll in den Mund geschossen und ich habe die obere Zahnreihe verloren. Unser Vorstand Paul Krekel ist aber noch am selben Abend mit mir in seine Praxis gefahren. Das war dann bald wieder vergessen. Zähne haben öfters einmal gefehlt."

Kaum hatte Fredl Hynek seine eigene Tür zugezogen, da stieß er für seinen ESVK schon eine neue weit auf, gelang ihm doch 1971 als Trainer das Kunststück, die Kaufbeurer Junioren zur hochverdienten deutschen Meisterschaft zu führen. Vielversprechende Talente wie Peter Ustorf, Stefan Metz, Gerhard Schuster, Georg Riederer und Heinz Seip tummelten sich in der großartigen Meistermannschaft. „Eine sehr schöne Zeit", erinnert sich der erfolgreiche Nachwuchsförderer, dem der legendäre Luggi Schuster als Betreuer zur Seite stand, „ich war wirklich stolz auf die unglaublich willigen Burschen."

Fredl Hynek ist ein Kaufbeurer mit Leib und Seele, weshalb er sich derzeit sehr über den anstehenden Stadionneubau freut: „Ich hänge am Verein und an der Stadt. Wenn wir ein bisschen gesund sind", sagt er wehmütig und nimmt seine Frau Erna liebevoll in den Arm, „dann gehen wir zur Eröffnung. Wo wir im Leben auch hingekommen sind, wurde der Name unserer Stadt in einem Atemzug mit dem Eishockey in Verbindung gebracht. Auch im Ausland."

„Fredl, du musst wieder spielen", sagen die Leute hier und da noch heute zu ihm. Als er das zum Abschied erzählt, blitzen seine Augen für einen ausgedehnten Moment spitzbübisch, und am liebsten würde ich das Rad der Zeit sogleich wieder ganz weit bis in jene Tage zurückdrehen, als Fredl Hynek nicht nur ein brandgefährlicher Stürmer und ein famoser Torjäger war, sondern auch als fairer Sportsmann auftrat und als bescheidener Mensch stets auf dem Boden blieb. Erst dadurch wird ein großer Spieler zum Idol.

Text: Manfred Kraus
Foto: Alfred Hynek

Die historische Aufnahme entstand anno 1950 im damaligen Vereinslokal Hirschkeller. Sie zeigt von links nach rechts die Spieler Luggi Schuster, Helmut Posselt, Gisbert Thamm, Sepp Wannemacher, Max Amann, Walter Schaudeck, Fredl Hynek, Fritz Sturm, Max Mayer und Fritz Medicus. Herzlichen Dank Herrn Hynek und seinem Sohn Günther für die Reproduktion der wunderbaren Fotographie, auf der der junge Fredi tatsächlich noch wie ein „Biable" wirkt.

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