Eishockey von einem anderen Stern

Vereins-News

04.02.2015 19:2104.02.2015 19:21 | geschrieben von Manuel Ort

Eishockey von einem anderen Stern

Am 11. August 1982 gastierte der ZSKA Moskau am Berliner Platz

In den Kinos ist der Film „Red Army" angelaufen – Grund genug, um an das denkwürdige Gastspiel des ZSKA Moskau in Kaufbeuren zu erinnern. Manfred Kraus, Autor des Buches „Augenblicke – Leidenschaft ESVK", blickt für uns mehr als drei Jahrzehnte zurück.

Am 11. August 1982 gastierte der ZSKA Moskau am Berliner Platz

Der ZSKA Moskau war die Sbornaja und die Sbornaja war das Maß aller Dinge. Sie spielte Eishockey von unerhörter Schönheit, Eishockey in Vollendung, Eishockey von einem anderen Stern. Noch heute gilt sie als Inbegriff meisterhaften Könnens und viele Experten sind geneigt, die sowjetische Auswahl jener Tage als die beste Mannschaft aller Zeiten einzustufen. Eine Mannschaft, gespickt mit Giganten. Ein Kollektiv, das Eishockey zelebrierte. Jeder einzelne Spieler ein geschliffener Diamant, alle zusammen ein atemberaubendes Kunstwerk. Besseres hatte das Welteishockey niemals zu bieten.

Als sich im Sommer 1982 der Eiserne Vorhang für einen Wimpernschlag hob und die hochkarätige Auswahl des Zentralen Sportklubs der Roten Armee nicht nur zum Sommertraining ins Allgäu, sondern auch zu einem Freundschaftsspiel nach Kaufbeuren kam, glich dies einer Sensation. Zwar unterhielt der ESVK auch in den Zeiten des Kalten Krieges enge Beziehungen zum tschechoslowakischen Traditionsklub Tesla Pardubitz, von dem die beiden großartigen Weltklassespieler Vladimir Martinec und Bohuslav Stastny im Jahr 1981 an die Wertach gewechselt und wieder mit dem gewieften Trainerfuchs Florian Strida zusammengetroffen waren, das aufsehenerregende Gastspiel der besten Vereinsmannschaft der Welt aber versprach dem rotgelben Anhang für einmal einen berauschenden Eishockeygenuss von allerhöchster Güte.

Wjatscheslaw Fetisow, unüberwindlicher Abwehrspieler, genialer Stratege und brandgefährlicher Antreiber, Sergej Makarow, läuferisch und stocktechnisch in einer eigenen Welt, fintenreich auch in den kniffligsten Spielsituationen und vielleicht der kompletteste Stürmer, den der Eishockeysport jemals hervorgebracht hat, Igor Larionow mit seiner bestechenden Spielintelligenz, Wladimir Krutow mit seiner phantastischen Schussgenauigkeit, Alexej Kasatonow, Sergej Babinow, Irek Gimaew, Wladimir Subkow, Nikolaj Drosdetzky, Viktor Schluktow, Andrej Khomutow.

An der Bande der Moskowiter stand der jüngst verstorbene Viktor Tichonow. Erfolgsbesessen. Eisenhart. Verrückt nach Disziplin. Ein Perfektionist. Und ein Despot. Das Kollektiv ging ihm über alles und die individuelle Genialität hatte sich voll und ganz in dessen Dienst zu stellen. Der legendäre Trainer führte den in weiten Teilen mit der sowjetischen Nationalmannschaft identischen ZSKA Moskau zu dreizehn Meisterschaften in Folge und mit der Sbornaja errang er neben acht Weltmeistertiteln auch dreimal olympisches Gold. Siege für die Eishockeyseele und Siege für den Sozialismus im ideologischen Ringen mit dem Kapitalismus.

Die mitunter diktatorische Menschenführung rief Unbehagen hervor und die weitgehende Konzentration der besten Kräfte eines Landes in ein und derselben Vereinsmannschaft wäre im Westen ebenso undenkbar gewesen wie die elfmonatige Kasernierung der Spieler im Trainingslager. Losgelöst von derartigen Erwägungen aber erhoben die Sowjets den Eishockeysport in den Rang einer Kunst und die hinreißenden Darbietungen der Osteuropäer gerieten zu einer Ode an die Schönheit des Spiels mit dem Puck.

Auch in Kaufbeuren inszenierten sie die Leichtigkeit ihrer vortrefflichen Spielkunst, fegten gleichzeitig aber auch mit der unwiderstehlichen Urgewalt eines russischen Schneesturms über das Eis. Viktor Tichonow duldete kein Sommereishockey. Jede Übungseinheit, jedes Spiel hatte sich als wohlüberlegter Baustein in die Planungen des eishockeybesessenen Trainers einzufügen und jeder Spieler musste sich unablässig beweisen, drängten doch beständig neue Rohdiamanten von allererster Güte wie der soeben von Traktor Tscheljabinsk nach Moskau beorderte Wjatscheslaw Bykow ans Licht, um ihre Extraklasse unter Beweis zu stellen.

Als Wermutstropfen erwies sich der betrübliche Ausfall des phänomenalen Schlussmannes Wladislaw Tretjak, unbestritten der beste Torwart, den die Welt jemals gesehen hat. Der ehrfürchtig „Mann mit den tausend Händen" genannte Zerberus saß am Berliner Platz nur auf der Bank. Später einmal sollte er neben dem Schweden Börje Salming und dem Kanadier Wayne Gretzky vom Internationalen Eishockeyverband IIHF ebenso in das Welt-All-Star-Team des zwanzigsten Jahrhunderts gewählt werden wie seine Landsleute Wjatscheslaw Fetisow, Sergej Makarow und Valeri Kharlamow, der 1981 im Alter von dreiunddreißig Jahren bei einem tragischen Autounfall gemeinsam mit seiner Frau Irina ums Leben gekommen war.

Florian Stridas respektable Kaufbeurer Bundesligamannschaft, ein halbes Jahr zuvor im bärenstarken Play-off-Viertelfinale nur knapp mit 3:6, 7:4, 1:3 am favorisierten Mannheimer ERC gescheitert, mühte sich redlich und immer wieder ließ auch sie aufblitzen, was in ihr steckte. Gegen die betörende Interpretation des Eishockeysports durch die Künstler von der Moskwa und die unabwendbare Zwangsläufigkeit der Torflut war aber kein Kraut gewachsen. Selbstredend standen die Kaufbeurer auf verlorenem Posten, zumal die Beine mitten im August noch reichlich schwer waren.

Mit 0:15 (0:3,0:6,0:6) kam der ESVK schließlich unter die Räder und trotzdem noch eher glimpflich davon. Dem geneigten Publikum durfte dies indessen für einmal einerlei sein, denn nicht wegen der Illusion eines Kaufbeurer Sieges waren die staunenden Besucher in die schmucke Eishalle gekommen, sondern um ihre Augen an der atemberaubenden Darbietung der Gäste, die für gewöhnlich unerreichbar hinter dem Eisernen Vorhang zauberten, zu weiden.

„Für uns war das Spiel heute sehr, sehr wichtig. Wir waren sehr gerne in Kaufbeuren", merkte der ausgewiesene Fachmann Viktor Tichonow in der anschließenden Pressekonferenz nicht nur aus diplomatischer Höflichkeit an und zweifellos richtete sich dabei der Blick seiner scheuen Augen gedanklich schon mit Nachdruck auf kommende Turniere und Meisterschaften.

Bis heute ist die Erinnerung an jenen denkwürdigen Augustabend mit seinen unvergesslichen Eindrücken wach und lebendig geblieben. Der ESVK empfing damals die Besten der Besten, die als Gastgeschenk Eishockey von einem anderen Stern mit nach Kaufbeuren brachten. Niemals hätte ich gedacht, dass man derartig schön und ästhetisch würde Eishockey spielen können. Eine Vereinsmannschaft von der einzigartigen Güte des ZSKA Moskau jener Tage wird es wohl nie mehr zu sehen geben. Am Berliner Platz nicht und in einem anderen Eisstadion dieser Welt auch nicht.

Torfolge: 0:1 Krutow (Makarow), 0:2 Babinow (Drosdetzky, S. Gimaev), 0:3 Krutow (Makarow, Fetisow), 0:4 Truchnow (Khomutow), 0:5 Subkow (Bykow), 0:6 S. Gimaew, 0:7 Wasiliew (Bykow, I. Gimaew), 0:8 Lobanow (Kutschin), 0:9 Starikow, 0:10 Drosdetzky, 0:11 Makarow (Krutow), 0:12 Khomutow (Makarow), 0:13 Krutow (Fetisow, Makarow), 0:14 Starikow (Lobanow), 0:15 Babinow. – Zuschauer: 2100.

Text: Manfred Kraus
Foto: weltkino.de

Zurück